In den letzten Newslettern habe ich davon geschrieben, wie ich als 5 Rhythmen-Lehrer immer mehr den „heilende Krieger“ als meine eigentliche Berufung erkenne. Er bekommt aus der Heilung seiner eigenen Verletzungen die stärksten Fähigkeiten für die Heilung anderer geschenkt. Es gibt für mich kaum ein grösseres Glück, als in meinen Anlässen solche Heilungsmomente bei mir und anderen erleben zu dürfen.
Ich hätte nicht gedacht, dass mich das Leben in dieser Absicht, den heilenden Krieger noch mehr zu entwickeln so ernst nimmt. Auf völlig unvorhersehbare Weise hat es mich in den zurückliegenden Monaten mit meinen tiefsten Wunden konfrontiert.
Vor allem der tragische Tod meines Freundes Joel, der mir in den letzten Jahren wie ein Seelenfreund ans Herz gewachsen ist wie selten ein Mensch zuvor, hat mich bis ins Mark erschüttert. Er hat sich in einem Moment tiefster Zuneigung und Verbundenheit aus dem Leben verabschiedet. Von einer Sekunde auf die andere wurde ich aus dem Paradies einer tief empfundenen Freundschaft hinausgeworfen und mit einem unendlichen Verlassenheitsschmerz konfrontiert. Ein Zustand, der mich an das Geburtstrauma erinnert, wo wir aus dem embryonalen Zustand von Einheit und Liebe auf einmal mit der schmerzhaften Erfahrung konfrontiert werden, von der eigenen Mutter und der Welt völlig getrennt zu sein.
Als Kind hatte ich irgendwann gelernt, diese tief sitzenden Verlassenheitsschmerzen nicht mehr fühlen zu wollen. Mit einer Magersucht wollte ich mich vom Körper trennen und begann fest daran zu glauben, über rationales Denken die Welt kontrollieren zu können. Seit ich vor über 20 Jahren mit den 5 Rhythmen zu tanzen begonnen habe, sind diese kontrollierenden Schutzschichten immer mehr aufgebrochen. Ich habe gelernt, meinen Körper und seine Gefühle wieder zu lieben. Aber erst seit der Horrornacht des Abschieds von meinem Freund wurde mir klar, welchen Schatz mir die 5 Rhythmen geschenkt haben. Dort konnte ich nicht mehr anders, als wehrlos meinen Körper den ganzen alten Schmerz fühlen zu lassen, vor dem ich ein Leben lang abhauen wollte. Ich zitterte vor Angst. Schuldgefühle haben mich durchgeschüttelt und in immer neuen Heulanfällen konnte ich nicht anders als meine tiefe Trauer und all den verzweifelten Schmerz in die Welt hinauszubrüllen. Es war als würden ganze Staudämme einbrechen, mit denen ich versucht habe, diesen Urschmerz nicht mehr fühlen zu wollen. Das eigentliche Wunder bestand jedoch darin, mich in diesem schlimmsten und demütigendsten Moment meines Lebens so unglaublich lebendig, verletzlich und berührbar erleben zu dürfen. Und es war wohl kein Zufall, dass auf einmal Menschen zur Stelle waren, die mir in dieser Situation mit vollem Mitgefühl und liebender Verbundenheit die beste und kompetenteste Unterstützung geschenkt haben.
Seit dieser Erfahrung zieht mich eine unsichtbare Kraft zurück in stille Meditation aber vor allem wieder in meinen eigenen Tanz. Und ich danke Gott für meine LehrerkollegInnen, die mir dafür in ihren 5 Rhythmen- Anlässen einen wunderbaren Rahmen zur Verfügung stellen. Ich staune dort oft über die Reaktionen meines Körpers, wenn er seit diesem Erlebnis manchmal mitten im Chaos-Rhythmus von einem alten Schmerz geschüttelt wird und danach wie von selbst in eine ungeahnte Leichtigkeit, Weite und in einen Frieden eintauchen darf, wie ich ihn mit Worten nicht beschreiben kann. Erst jetzt verstehe ich etwas von dem, worüber ich gerne ziemlich unwissend gepredigt habe: Der Körper besitzt in sich eine unglaubliche Weisheit für seine eigene Heilung, wenn wir ihm wieder die Führung übergeben. Soviel Schmerz, alte Verletzungen und verdrängte Gefühle von Verlassenheit, Scham, Versagen oder Schuld können geheilt werden, wenn wir sie einfach nur zulassen und bewusst durchleben. Meine Angst vor diesen meist verdrängten Gefühlen schmilzt immer mehr dahin, seit ich erfahren habe, dass sie mich nicht umbringen, sondern im Gegenteil so lebendig und kraftvoll werden lassen. Da entsteht eine Stärke und Sicherheit in meinem Handeln, die so anders und machtvoller ist als alles Denken, Kontrollieren und Im Griff haben wollen, das ich bisher als Sicherheit empfunden habe.
So kann ich nicht anders, als in meinen Anlässen noch mehr mit dem Thema Verletzlichkeit und Heilung schwanger zu gehen. Ich bekomme zwar manchmal die Rückmeldung, dass es doch schon genügend Wunden in unserem normalen Leben gibt. Warum sich also noch beim Tanzen mit ihnen auseinandersetzen müssen? Und tatsächlich ist es sinnvoll, für unsere verwundeten Seelen zuerst mal einen sicheren Wohlfühlrahmen anzubieten. Aber wenn wir uns dabei nicht wirklich auch an tiefer liegende Wunden herantrauen, dann verpassen wir die Chance für echte Heilung und kreieren nur eine Komfortzone mehr, von denen wir bereits genügend in unserer Welt erschaffen haben.
In diesem Sinne verabschiede ich mich mit einem Gedicht von Hilde Domin, das so wundervoll poetisch meinen grössten Herzwunsch für meine Anlässe ausdrückt.
Andreas TröndleBitte
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnässt
bis auf die Herzhaut.Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränen
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.Es taugt die Bitte,
dass bei Sonnenaufgang die Taube,
den Zweig vom Ölberg bringe.
Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sein,
dass noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.Und dass wir aus der Flut,
Hilde Domin
dass wir aus der Löwengrube
und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.